Dienstag, 25. September 2007

"Dank verschiedener Analysen wird immer deutlicher, daß der
Begriff des 'Selbst' und aller seiner Synonyme (etwa Identität,
Individualität, auch Geist und Seele) keine Tatsache meint,
sondern etwas nur Virtuelles. Wenn ich mich selbst analysiere
(...), so stelle ich fest, daß 'ich' jenen abstrakten Punkt meint,
an dem sich konkrete Beziehungen verknoten. 'Ich' ist der Name,
der konvergierenden Beziehungen bezeichnet, und wenn alle
Beziehungen, eine nach der anderen, abgezogen werden, dann
bleibt kein 'Ich' übrig. Anders gesagt: 'Ich' meint, daß andere
'Du' dazu sagen. Die Informationsgesellschaft wäre demnach
eine Strategie zur Verwirklichung der Virtualität 'Ich' in der Vir-
tualität 'Du', also zum Abschaffen der Ideologie von einem Selbst
zugungsten der Erkenntnis, daß wir einer für den anderen da sind
und keiner für sich selbst da ist. Und Telematik wäre danach die
Technik, die eine Abschaffung des Selbst zugunsten der inter-
subjektiven Verwirklichung automatisch herstellt (...) [oder anders
gesagt] Telematik wäre die Technik, dank welcher räumlich und
zeitlich voneinander entfernte Menschen existentiell zusammen-
rücken können, um einander gegenseitig zu realisieren."
Flusser (1995b), S. 18/19